09/2009 Schrot und Korn
Berlin trägt Grün
Von Luxusroben bis zur Bio-Jeans, vom Hochzeitsdress bis zum Recycling-Style – auf der Berliner Modewoche präsentierte sich Öko-Fashion so vielseitig und engagiert wie nie zuvor. // Fred Grimm
Judith Finsterbusch weiß gar nicht, wo sie anfangen soll. Für „Wertvoll“, ihren trendigen Öko-Lifestyle-Laden im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg, sucht die 32-Jährige ständig nach neuer umweltfreundlich und fair produzierter Mode. Doch was vor drei Jahren auf der Berliner „Fashion Week“ bei knapp zehn nennenswerten Marken im Schnelldurchlauf erledigt gewesen wäre, artet Anfang Juli 2009 zum mehrtägigen Messemarathon aus. Wohin zuerst? Auf die „Bread and Butter“ im Flughafen Tempelhof, wo sich unter anderem die niederländischen Öko-Jeans-Experten von Kuyichi mit einem knalligen Stand samt „Organic Cocktail“-Bar präsentieren?
Auf die „Premium“, die dezent avantgardistische Designerlabel-Schau, die eine „Green Area“ für hochwertige Öko-Mode frei geräumt hat? Ins Hotel Adlon, wo 16 Luxuslabel in sechs Räumen grünen Edel-Lifestyle von der Kosmetik bis zum Hochzeitskleid zelebrieren? Oder gleich raus nach Neukölln, in ein leicht abgewracktes, ehemaliges Postgebäude, zu „The Key“, der ersten Messe „für Green Fashion, Culture & Lifestyle“? Als Einkäuferin für tragbare Öko-Fashion ist Finsterbusch gewohnt, „nach der Stecknadel im Heuhaufen zu suchen“. Aber so groß wie diesmal war der Haufen noch nie. Wenn man alles zusammenzählt, zeigten in den Modetagen von Berlin beinahe 100 Öko- und Fairtrade-Marken ihre Ideen und Kollektionen.
Grüne Mode ist in und das hat mit kurzfristigen Trends nichts zu tun. „Trends sind endlich“, erklärt Kuyichi-Chef Tony Tonnaer. „Nachhaltigkeit dagegen ist richtungweisend für die Zukunft.“ Seine Firma verwendet Bio- Baumwolle, experimentiert mit Hanf und Tencel, einer Eukalyptusfaser mit besonders guter Öko-Bilanz, und lässt seine Produktionskette von „Made-By“, einem Siegelvergeber für öko-faire Kleidung, überwachen.
„Grün steht für eine Lebenshaltung.“
„Wir sind die Vorreiter einer gesellschaftlichen Bewegung“, ergänzt Frans Prins, einer der drei Gründer von „The Key“. „‚Grün’ steht nicht nur für die Prinzipien, nach denen unsere Kleidung hergestellt werden sollte, sondern für unsere Lebenshaltung überhaupt. Wir wollen Zusammenhalt und Austausch statt Konkurrenz, Ethik statt Gier.“ Der 29-jährige Wahl-Berliner mit dem sympathischen Rudi-Carrell-Akzent lehnt an einer wenig vertrauenerweckenden Stellwand aus Recycling-Pappe. Hält aber.
Das Messekonzept von „The Key“ übt Nachhaltigkeit auch im Detail. Die Stellwände zwischen den Messeständen sind wieder- verwertbar, der Shuttle-Service zur „Bread and Butter“ fährt in Hybridwagen von Toyota. In der Kantine wird Bio-Food angeboten, man sitzt auf Recyclingholz-Möbeln. Von den Decken baumeln wassergefüllte Luftballons in alten Damenstrumpfhosen. Zur Dekoration. „The Key“ präsentiert sich ein paar Kilometer Luftlinie, aber eine ganze Welt entfernt von den schillernden Catwalks der Fashion Week und dem Massenauflauf der 500-Euro-Sonnenbrillen.
In Berlins ärmstem Stadtteil zeigen knapp vierzig Label Öko-Fashion und -Accessoires in einem Gebäude, das sechs Jahre leer gestanden hat. Eine Low-Low-Budget- Veranstaltung, deren Umfeld nicht ganz zur hohen Qualität vieler der ausgestellten Marken passen will. Eine bleistiftdünne Französin, die einige Stücke aus der letzten Pariser »Ethical Fashion Show« mitgebracht hat, lehnt nervös rauchend an einer Wand und lässt ihre Kleider nicht aus den Augen.
Renate Künast: „Jetzt ist die Mode dran.“
Doch die Idee für „The Key“ ist gerade mal drei Monate alt, der Ort steht erst seit vierzehn Tagen fest. „Wir haben uns gesagt, wir machen das jetzt einfach mal“, erklärt Frans Prins. „Natürlich ist hier nicht alles perfekt, aber dann wird es eben beim nächsten Mal besser.“ Mit einer lässigen Handbewegung wischt er einen Schweißtropfen von der Stirn. Prins trägt trotz der stickigen Hitze eine Schirmmütze, die aus dem Hinterteil einer alten Herrenhose genäht wurde.
Nur nichts wegschmeißen. „The Key-Schirmfrau“ Renate Künast erscheint zur Eröffnungs-Pressekonferenz der Messe vergleichsweise konventionell im Hosenanzug. Öko-Fashion ist für die Vorsitzende der grünen Bundestagsfraktion so etwas wie die nächste Bastion des bewussten Konsums: „Nach den Lebensmitteln und der Kosmetik ist jetzt die Mode dran.“ Die Mode der Zukunft ist „grün, fair und trotzdem schick“. In zwei, drei Jahren werde „The Key“ die Premium „als wahre Avantgarde-Schau ablösen“. Noch sei allerdings viel zu tun, mahnt die Ex-Ministerin. „Ich wünsche mir grüne Mode, mit der ich auch vor dem Bundestag und vor dem Verband der deutschen Industrie auftreten kann.“ Die versammelten Designer, beinahe alle unter dreißig, nicken freundlich.
So ganz das Richtige für Frau Künast haben sie noch nicht im Angebot. Da stehen Felicia und Melchior Moss, ein apartes Berliner Geschwisterpaar, das das Motto ihres Labels „Slowmo“ ideal verkörpert: „Look lovely, smile beautifully, stay open minded and keep it slowmo“. Slowmo arbeitet mit ausgesuchter Bio-Baumwolle, lässt in der Hauptstadt nähen und tastet sich nach Anfängen im sehr jungen Streetwear-Bereich allmählich zu raffinierten, erwachseneren Schnitten vor. Neben den Slow-Moss strahlen Antje Wolter und Anne Gorke, zwei Jung-Designerinnen aus Weimar, die, frisch von der Modeschule, auf „The Key“ ihre erste Kollektion vorstellen.
Die Hemden, Blusen, Kleider und Hosen ihres im Herbst 2008 gegründeten Vilde Svaner-Labels kombinieren die zeitlose Sachlichkeit des Bauhaus-Stils mit verspielten Details wie Wollkragen oder Nierenwärmer. Ihre bio-zertifizierten Stoffe beziehen die „wilden Schwäne“ ausschließlich von deutschen Anbietern, die sie regelmäßig besuchen. Vom Stoffkontor Kranz aus Lüchow kommt dabei eine Art Markenzeichen ihrer Kollektion, ein Mischgewebe aus Bio-Baumwolle und Brennnesselfasern; eine wiederentdeckte deutsche Naturfaser mit optimaler Umweltbilanz. Die Färbung – chemiefreies Blau, Türkis, Grün – besorgen Antje Wolter und Anne Gorke selbst. Mode „Made in Germany“.
Bei ihrem Messerundgang lernt Ex-Ministerin Künast neben Slowmo und Vilde Svaner ein breites Spektrum grüner Mode kennen. Neben experimentierfreudigen Jung-Designern findet sie das klassische Basis-Angebot von Unterwäsche und T-Shirts aus streichelweicher BioBaumwolle sowie die obligatorische Hanf-Kollektion. Dazu zeigen Label wie Frau Wagner, Milch aus Österreich oder Pamoyo Recycling-Mode aus Vintage-Sportbekleidung, alten Kleidern oder sonstigen Stoffresten. Gemeinsame Grundidee: Das umweltfreundlichste Material ist das, was schon da ist. „Beim nächsten Mal bin ich wieder dabei“, verspricht Frau Künast und kauft noch ein paar Fairtrade-Unterhosen.
Hell wie beim Zahnarzt. Sushi vom Boden.
Wer die lichtarmen, aber energiegeladenen Räumlichkeiten von „The Key“ verlässt, um zur „Premium“ zu fahren, erlebt einen milden Kulturschock. Auf dem Gelände eines ehemaligen Bahnhofs zeigen die „Premium“-Macher Anita und Norbert Tillmann beinahe 900 Damen- und Herren-Kollektionen der gehobenen Preisklasse.
Es ist hell wie beim Zahnarzt, vom Boden könnte man Sushi essen. Wer sich durch Halle 1, 2, 3 und so weiter schlängelt, landet irgendwann in Halle 7, der „Green Area“, die Anbietern ökologisch und/oder fair hergestellter Kleidung vorbehalten ist. Als die rührige Anita Tillmann vor zwei Jahren die „Green Area“ installierte, wirkte der Bereich auf der „Premium“ noch wie ein Fremdkörper. Ein bisschen so wie der schlecht gekleidete Onkel, der in Hanfhose und Wallewalle-Shirt beim Familienfest auftaucht. Diesmal gibt es keinen ästhetischen Bruch, weder bei der Mode noch beim Personal.
Philipp Glöckler, wortmächtiger Marketingchef des Organic-Labels So Pure, könnte trotz seines martialischen T-Shirts (Aufschrift: „Care or Die“) auch bei den Herrenanzügen von Donna Karan Hof halten. Und die jungen Frauen am österreichischen Gemeinschaftsstand, die engagiert über Prinzipien und Produktionszyklen der Marken Milch, Anzüglich oder Göttin des Glücks Auskunft geben, sind selbst ihre besten Models. Bawi Koszednar, die charismatische Designerin von Anzüglich, kommt gerade von einem mehrmonatigen Aufenthalt in Cuso, Peru, zurück. Dort entwickelte sie gemeinsam mit einer lokalen Hilfsorganisation, die gehörlosen Frauen eine Ausbildung als Schneiderin ermöglicht, eine sehr feminine Fairtrade-Kollektion aus Bio-Baumwolle.
Anzüge mit E-Blockern gegen Elektrosmog
Zwei Stände weiter zeigt eine stolze Französin die erste Herrenanzugkollektion des Designers Ba Faro für die Manufaktur Bernard Zins. Hundert Prozent Öko, mit eingebauten „E-Blockern“ in den Taschen, die den Elektrosmog der iPhones und Handys vom Körper fernhalten sollen.
Der Vertrieb läuft mit Schiff oder Zug, die Pappe für die Verpackung wurde aus FSC-zertifiziertem Holzbestand gewonnen. Wieder ein paar Stände weiter, am Ende der kleinen, feinen „Green Area“, verrät der T-Shirt-Aufdruck einer Kinderkollektion eine geballte Prise Elternerfahrung: „Save water don’t wash my hair.“
Erlesene Kollektionen in Luxusambiente
Es ist an der Zeit, sich auf der Luxusskala noch ein paar Stufen hochzuarbeiten. Zeit für den „Green Showroom“ im Hotel Adlon. Der 1997 von der Tradition des alten Adlon inspirierte Wiederaufbau nahe des Brandenburger Tores ist nicht unbedingt der Ort, an dem man ökologisch sensibel produzierte Mode erwarten würde. Normalerweise frönen hier Staatsgäs-te, Showstars, Neureiche und andere Gesegnete, die sich die Fünf-Sterne-Unterkunft leisten können, eher dem Überfluss.
Doch das, was die Berliner Designerin Magdalena Schaffrin (siehe Interview) und Partnerin Jana Keller im zweiten Stock des Hauses zeigen, fügt sich harmonisch in die teuer-gediegene Atmosphäre. Sechs Zimmer haben die beiden herrichten lassen. Erlesene Kollektionen von Hess Natur bis Magdalena Schaffrin hängen wie zufällig an Stangen oder in den Kleiderschränken – als hätten schöne Frauen bei der Abreise versehentlich ihre Garderobe vergessen. Auf einem der Betten liegen, verlockend wie eine Braut, Hochzeitskleider von „Blushless“; filigrane Entwürfe der 25-jährigen Liv Lundelius, die ihre Leidenschaft für schöne Dinge und das beständige Ringen um eine ökologische Herstellung ihrer Kollektion in einem inspirierenden Blog beschreibt.
In den Badezimmern der „Showrooms“ verströmen liebevoll drapierte Fläschchen, Tuben und Wässerchen von Naturkosmetikmarken wie Snowberry oder Dr. Hauschka wohlige Düfte. In einem der Zimmer wurde das Bett mit edlen Kreationen der Erfurter Schokoladenmanufaktur Goldhelm geschmückt, winzige Kalorienbomben aus ausschließlich natürlichen Zutaten. In einem Raum scheinen die Kleider der Hamburger Jung-Designerin Julia Starp beinahe zu schweben.
Federleichte Teile, die man sich auch auf einer Oscar-Gala vorstellen könnte, gearbeitet aus veganem Leder und Bio-Seide, einem Material, bei dessen Fertigungsprozess der Seidenwurm am Leben bleiben darf. „Ich könnte gar nicht anders, als umweltbewusst und tierfreundlich zu produzieren“, erzählt die blonde Modemacherin, die nach ihrem Modediplom zwei Jahre lang mit einer Behindertenwerkstatt zusammenarbeite, weil sie etwas „Sinnvolles“ tun wollte. Sie lacht. „Ich komme aus einer Hippiefamilie. Das steckt in mir drin.“
Bei Bio-Cappuccino und Öko-Brause
Ein bisschen Zeit ist noch. Wieder eine Welt entfernt vom Adlon, aber im Geiste durchaus mit den Macherinnen des „Green Showroom“ verbunden, führt der Weg zu den armedangels nach Kreuzberg. Die Kölner Streetwear-Spezialisten haben sich während der Modewoche in ein schrabbeliges Café eingemietet. Ein improvisierter Showroom, in dem Einkäufern und Modeexperten bei Bio-Cappuccino und Öko-Brause die nächste Kollektion vorgestellt wird.
Es herrscht hektische Betriebsamkeit, Termine im Halbstundenrhythmus. Die aufwendig gestalteten T-Shirts, Kleider und Kapuzenpullover mit dem Engel als Markenzeichen kommen gut an. Anton Jurina – armedangels-Shirt, Jeans, sympathi- sche Nichtfrisur – referiert in einer Pause über die komplexe Problematik des nachhaltigen Mode-Business. Als Jurina mit Freund Martin Höfeler 2007 die Firma für „Social Fashion“ gründete, rechneten die beiden mit einem schweren und langen Weg. Es kam härter. Die Revolution in der Modeindustrie – faire Löhne, umweltfreundliche Materialien, Transparenz, Einbindung der Kunden ins Design – bleibt weiterhin das hehre Ziel. „Aber unsere Herstellerpreise sind dreimal höher als die von konventionellen Anbietern“, rechnet Jurina vor. Fair ist teuer.
Trendbewusste Berliner können die Mode der Überzeugungstäter mittlerweile auch in Judith Finsterbuschs „Wertvoll“-Laden kaufen. Doch normalerweise läuft der Vertrieb über das Internet. Die Website von armedangels ist Shop, Community, Blog und Info-Börse für andere öko-fair ausgerichtete Modemacher in einem.
Es gibt viel zu lesen, Style ist eben nicht alles. Die armedangels unterstützen eine Schulinitiative in Indien und zwei Trinkwasserprojekte. In Berlin zeigt sich diesen Sommer eine neue Generation von Modeunternehmern, die nicht nur unsere Mode verändern will, sondern die Welt gleich mit: 100 Prozent fair, ökologisch und recyclingfähig. „Wir sind die Weltretter 2.0“, verkündet „The Key“-Macher Frans Prins – und meint das nur halb im Scherz.
Autor Fred Grimm
war begeistert von der Berliner Modewoche; spart jetzt für seinen ersten öko-korrekten Anzug.